„Er fragte sich, wie die Landkarte aller Schritte, die er jemals gemacht hatte, aussehen würde und welches Wort man daraus würde lesen können.“
Paul Auster, City of Glass
Meine Landkarte aller Schritte würde auch diesen Ort enthalten: Ravensburg, Burgstraße, vor dem Stammhaus des Otto Maier Verlages. Ein historisches Foto kann das belegen. Hier belegt ein Foto allerdings nur, dass es diesen Ort überhaupt gibt.
„Ausgangspunkt eben war ein bekanntes Foto von Foucault, das mir in den Sinn kam, wo er an einem großen, fast wohnzimmerartigen Schreibtisch sitzt, Papiere und Bücher vor sich und neben sich, und UMGEBEN von lauter Büchern, die Wände hinter ihm; Regale von oben bis unten, voll, lauter Bücher. Daß DAS die Position der Rede der Wissenschaft wäre: aus der Fülle alles bisher gesagten sprechen.“
Eine Notiz vom 15.4.98 aus dem Buch von Rainald Goetz: „Abfall für alle“. Ein einjähriger Schreibzwang: alles aufschreiben, und alles ist aufschreibenswert. Aber, wer alles aufschriebe, dem bliebe keine Zeit zum Leben. Aus der Art der Produktion dieser Texte resultiert die Qualifizierung als Abfall. Aber das ist natürlich bloß kokett, solange alles zwischen zwei Suhrkamp-Buchdeckel gepresst wird. Gewiss ist das Literatur. Schnell und schmutzig. Da war Instagram noch nicht erfunden und social media ein Tier mit 11 Buchstaben.
Wir schätzen den Abfall nicht gering, weder den buchstäblichen noch den echten. Jeder Papierkorb ist ein Buch, in dem es einen Text zur Lage der Gesellschaft zu lesen gibt. Täglich neu und duftend.
Foto: Michael Schreiner, Archäologie der Gegenwart, 2023
Zwei Eigenheiten tragen also dazu bei, eine gewisse Affinität zwischen Foto und Fetisch herzustellen: die geringe Größe und die Möglichkeit, den Blick zu fixieren. Der echte (klinische) Fetisch entsteht in gleicher Weise durch eine einmalige und endgültige Fixierung des Blicks, die ein ganzes Leben lang Geltung haben wird.
Christian Metz, Foto, Fetisch
Foto: Wolfgang Mennel, Objekt aus der Serie „familienlandschaft“, Fotografie auf Gips
An Stelle einer Photographie von Odette stellte er auf seinem Arbeitstisch eine Reproduktion der Tocher Jethros auf. Er bwunderte die großen Augen, das zarte Gesicht, das auf die Unvollkommenheit der Haut schließen ließ, das Haar, das in herrlichen Locken an den müden Wangen niederhing, und indem er das, was er bislang im rein ästhetischen Sinne schön gefunden hatte, auf die Vorstellung von einer lebenden Frau übertrug, machte er körperliche Vorzüge daraus, die er sich beglückwünschte in einem Wesen vereinigt zu finden, das er besitzen konnte. Aus der unbestimmten Sympathie, die uns vor ein Meisterwerk führt, das wir betrachten können, wurde nun, da er das fleischgewordene Original der Tochter Jethros kannte, ein Besitzverlangen, wie es Odette in ihrer nur körperlichen Erscheinung ihm zunächst nicht hatte einflößen können. Wenn er den Botticelli lange genug betrachtet hatte, dachte er an ’seinen‘ Botticelli, den er noch schöner fand; er zog die Photographie der Sephora näher an sich heran und glaubt, Odette ans Herz zu drücken.
Da unsere Augen nur innerhalb eines sehr kleinen Bereiches im Gesichtsfeld, in der Fovea, Einzelheiten deutlich sehen können, müssen wir die Welt in einer Abfolge von Blickwendungen in verschiedene Richtungen erkunden. Solche Blickwendungen erfolgen durch sprungartige Augenbewegungen, deren Endpunkte festgelegt sind, bevor die Bewegung eingeleitet wird. (d. h. die Augensprünge sind ballistische Bewegungen): Wohin man blicken wird, ist im voraus festgelegt.
Julian Hochberg, in: E. H. Gombrich, J. Hochberg, M. Black, Kunst, Wahrnehmung, Wirklichkeit, Frankfurt, 1981